Die Geschichte der Skulpturen des 10. Internationales Bildhauersmyposions.
Auf dieser Seite erfährst du mehr über die Materialien der Skulpturen, ihre Geschichten und zu den Gedanken der fünf Künstler*innen.
Kette für Kindsbach von Christian Hess
Material: Sandstein / Stahl
Abmessungen: H 0,45 Meter, D 5,00 Meter
Standort: 66862 Kindsbach
Geodaten: 49°25'10.5"N 7°36'21.9"E
Eine staubige Spur aus Sandsteinabrieb markiert den Weg, den Christian Heß und seine Walze zurückgelegt haben. Siebenmal hat der Künstler seine Sandsteinrollen vom Steinbruch Steinborn im Schweinstal bergauf und bergab über Stock und Stein durch den Pfälzer Wald gezogen. Um die fünf Stunden braucht der Bildhauer und Performancekünstler zum Aufstellungsort in Kindsbach, wo er die Skulpturen wie Perlen auf die
Kette fädelt.
Und wie bei einer Perlenkette unterscheiden sich die einzelnen Elemente in Form und Größe, changieren in den Farben, sind durchzogen von feinen Maserungen, geben die ganze Palette des im Steinborn vorhandenen Buntsandsteins wieder, von weiß über gelb zu rosafarben. An den Walzen finden sich Gebrauchsspuren, der zurückgelegte Weg hat das Werk verändert: Die bei der Herstellung entstandenen Kanten sind zum Teil abgeschliffen und die Strecke über Basaltschotter hat der Perle punktuelle Löcher, wie von der Bearbeitung mit einem Spitzeisen, zugefügt. Es gibt Kratzer, Schrunden und Schrammen.
Etwa ein Zentimeter wird durch die Fortbewegung und auf dem Weg abgerieben. Christian Heß zieht seine circa 200 Kilo schweren Walzen an einer Kette hinter sich her, oder lässt sie vor sich herrollen. Immer wieder legt er die 12 Kilometer durch die Natur zurück. Zu Fuß, um die Distanz zwischen dem Arbeitsplatz an der alten Verladerampe des Steinborn und dem Aufstellungsort nahe des Silbersees zu spüren, um die Entfernung bewusst wahrzunehmen. Aber auch um dem Betrachter in Erinnerung zu rufen, was Entfernung im Zeitalter der Mobilität, wo jeder schnell überall hingelangen kann, noch bedeuten kann.
Dahinter steckt aber natürlich auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff
Skulpturenweg, an deren Ende der Performancekünstler diesen genau in die Tat umsetzt: Er macht sich mit seiner Skulptur auf den Weg. Und dieser Weg wird zum Mitschöpfer an den Walzen, gräbt sich in die Oberfläche und jede Sandsteinperle erzählt später in Kindsbach die Geschichte seiner Entstehung.
Text von Dr. Claudia Gross
Telegrafenmast von Garbriele Künne
Material: Holz- und Stahlgerüst / keramische Isolatoren
Abmessungen: H 9,00 Meter, L 0,25 Meter, B 2,00 Meter
Standort: 67731 Otterbach
Geodaten: 49°29'09.1"N 7°43'36.2"E
Noch vor vierzig Jahren konnte man sie überall sehen: oberirdisch verlaufende Telefonleitungen, die nach einiger Distanz über einen Telegrafenmast geführt wurden. Heute sind diese selten geworden, aber in einigen Gegenden Deutschlands und in Österreich noch zu finden. Der Holzmast, der zwischen Erfenbach und Otterbach beim Stellwerk seinen Aufstellungsort gefunden hat, ragt nicht ganz so weit in den Himmel wie sein Originalvorbild, aber auch an ihm finden sich drei Traversen aus Stahl, die übereinander an dem Mast befestigt sind.
Anders als bei den alten Telegrafenmasten sitzen allerdings auf den senkrecht angebrachten Halterungen nicht weiße Isolatoren aus Porzellan. Stattdessen hat Gabriele Künne, von der zylindrischen Form der Isolatoren ausgehend, einen ganzen Kanon verschiedener Gebilde aus Steinzeugmasse auf der Töpferscheibe gedreht, ge- und verformt. Die ursprüngliche Gleichförmigkeit der Isolatoren wird durch Rillen und Auswölbungen verändert, manche sind oben weiter und unten enger, andere sind glockenförmig, konisch oder in sich verdreht. So wie ein Telefongespräch mal positiv, mal negativ, mal sachlich verlaufen könne, meint die Künstlerin, so seien auch die Formen angelegt. Zudem unterscheiden sich die Isolatorenvariationen durch die verschiedenfarbigen Glasuren.
Gabriele Künne beschäftigt sich seit 2001 mit urbanen Strukturen, die sie aus den bestehenden Systemen herauslöst und in ein neues System integriert. Mit dem Telegrafenmast möchte die Bildhauerin und Installationskünstlerin dem Betrachter ein Assoziationsfeld anbieten. Sie beginnt ein Spiel mit der Wahrnehmung, wenn sie bestimmten Formen eben nicht die der Erwartung entsprechenden Farben zuordnet, sondern leitet durch das Durchbrechen der Patterns bewusst in die Irritation. Dass sie dafür einen eigentlich vom technischen Fortschritt längst überholten und im digitalen Zeitalter ausgedienten Nutzgegenstand verwendet, passt zu dieser Irritation.
Text von Dr. Claudia Gross
Passers von Lorena Oliveras
Material: Cortenstahl
Abmessungen: vier Objekte, H 1,70 Meter, L 11,00 Meter, B 1,80 Meter
Standort: 67685 Weilerbach
Geodaten: 49°29'16.8"N 7°39'00.1"E
»Das Wichtigste bei meiner Skulptur« so Lorena Olivares, »ist der leere Raum inmitten. Denn der Leere sind alle Möglichkeiten inne. So wie bei einem Atom: In seinem Kern ist es leer, und ist zugleich pure Energie. Schaut man also von dieser gehaltvollen Leere aus auf die Welt, so ist sie voller Möglichkeiten, alles kann sich durch die Energie entwickeln. Und zugleich ist alles der Veränderung unterworfen. Die Schwerkraft vermittelt uns zwar die Illusion der Stabilität, doch in Wahrheit wandelt sich alles ohne Unterlass, permanent.
Auch im Titel ihrer Arbeit drückt sich der Wandel aus, denn Passers bedeutet Passanten. Olivares hat mit Passers eine Skulptur entworfen, die aus vier Elementen besteht. Sie stehen in Verbindung zueinander, und schreitet man um sie herum, bietet sich stets ein anderer Blick auf die Teile. »Bei der Bewerbung für dieses Symposium faszinierte mich der Gedanke, freien Raum gestalten zu können. Ich wollte eine Skulptur, die diesen Raum einnimmt und ihn für den Betrachter erlebbar macht: indem er um die einzelnen Elemente herum flaniert, bewegt er sich im Raum und kann ihn erfahren.«
Es scheint also, auch auf den Betrachter der Skulptur bezieht sich ihr Titel Passers. Ihre Entscheidung, bei Passers mit Stahl zu arbeiten, erklärt Lorena Olivares, hat Tradition in ihrem Leben: »Als Kind lebte ich in einem Dorf mit einer Firma mittendrin, die Metall verarbeitete. Das Geräusch der Flex ist das Geräusch meiner Kindheit. Ich arbeite natürlich auch mit Holz oder Stein, meistens aber mit Metall. Es ist stark und veränderbar zugleich. Und das fasziniert mich.« Ihr Konzept ist das der »organischen Geometrie«: »Das Wachsen der Pflanzen, wie die Formen sich entwickeln, die Muster, die dabei entstehen: das ist perfekt!«, so Olivares. »Die Struktur der Pflanzen ist genial und vollkommen, und ist dennoch in jeder einzelnen Ausformung einmalig.«
Auch ihre Skulptur ist angelehnt an die organische Geometrie: Abstrakt in ihrem Entwurf, scheinen sie doch an Wesen zu erinnern. Die Ecken der Figuren fügen sich in Rundungen, die Kanten sind verschliffen. Der leere Raum inmitten gibt den schweren Figuren aus Stahl eine ungewohnte Leichtigkeit. Und noch etwas ist der Künstlerin wichtig: Belleza, wie sie es auf Spanisch benennt: Schönheit. »Ich umgebe mich gern mit Schönem und auch für meine Arbeit ist das ein zentraler Begriff. Ich will nicht konfrontieren oder erschrecken. Und ich denke, es tut den Menschen gut, Schönheit zu sehen.« Für Passers wünscht sich Olivares, dass der Mensch in der Begegnung mit ihrer Skulptur seine Umwelt spürt, den Raum, das Wetter – und die Schönheit all dessen.
Text von Sabine Michels
Kürbisse von Attila Rath Geber
Material: Sandstein
Abmessungen: fünf Steine, H 0,80 – 2,20 Meter, L 0,80 – 2,70 Meter, B 0,70 – 1,70 Meter
Standort: 66862 Kindsbach
Geodaten: 49°24'43.5"N 7°36'30.7"E
Attila Rath Geber hat den Aufstellungsort in einem kleinen Tal im Pfälzer Wald am Ufer des Bärenlochweihers erst mal auf sich wirken lassen – eben weil die Aufstellung
eines Kunstwerkes den umgebenden Raum verändert. Dieser Offenheit dem Ort und Material gegenüber folgte eine gewissenhafte Suche nach den richtigen Steinen – solchen Steinen, die den gewünschten Einfluss auf die Umgebung nehmen können, in der sie zukünftig stehen sollen, von der sie ein Teil werden, deren neues Erscheinungsbild sie mitgestalten sollen.
Und obgleich sie ein Teil der Umgebung werden sollen, sollen sie den Betrachter an nichts erinnern, was er bereits kennt. Die Andersartigkeit offenbart sich sowohl in der abstrakten Erscheinungsform des Steins als auch in der rauen Unfertigkeit der Steinoberfläche. Da gibt es Ein- und Ausbuchtungen, größere und kleine Beulen und unregelmäßige Löcher, ebenso wie tiefe Einschnitte und Werkzeugspuren, die das Kunstwerk definieren. Nicht Perfektion, sondern Sinnhaftigkeit soll erreicht werden.
Mit dieser Herangehensweise an die Skulptur möchte der Bildhauer und Installationskünstler Fragen beim Betrachter hervorrufen, ein Nachhaken provozieren. Allein schon die Frage »Was ist das?« bringt alles in Gang. Das ist der Beginn einer Auseinandersetzung von Kunst und Leben, zweier Sphären, die für Attila Rath Geber in unserer Kultur streng voneinander getrennt sind. In dem Augenblick der Konfrontation begegnen sich beide, ist es möglich die Kunst im Leben zu entdecken. Dass nicht nur seine Kunst auf den Ort in der Natur Einfluss genommen hat, sondern zukünftig die Natur wiederum auch Einfluss auf sein Werk nehmen wird, findet Attila Rath Geber nur konsequent.
Text von Dr. Claudia Gross
Das war das Haus vom Nikolaus - Robert Schmidt-Matt
Material: Sandstein
Abmessungen: H 2,05 Meter, L 2,75 Meter, B 2,20 Meter
Standort: 67731 Otterbach
Geodaten: 49°29'06.6"N 7°44'03.1"E
Robert Schmidt-Matt hält das Modell seiner Skulptur in de Hand – und die klare, strenge
Linienführung lässt unmittelbar an den Kinderreim denken: Das ist-
das-Haus-vom-Ni-ko-laus. Dann dreht er die zwei Elemente
des Hauses leicht mit beiden Händen: es öffnet seine Form, verändert sich in ein weit raumgreifenderes Objekt, überraschend in seinem Umriss.
Doch die beiden Teile bleibenmiteinander verschränkt, bleiben ein Ganzes.
»Wenn die Elemente der Form sich zueinander bewegen, erfährt der Stein eine Wandlung, die vorher nicht zu erwarten ist. Diese Veränderbarkeit fasziniert mich«, so Schmidt-Matt. Weiter erläutert er: »Der Moment, wenn die fertige Skulptur in ihre schlussendliche Form bewegt wird, ist ganz entscheidend und überaus spannend. Das Augenmerk wird auf die unerwartete Beweglichkeit gelenkt und auf die Fragilität des Materials – denn der Stein könnte beim Drehen zerbrechen. Normalerweise,« führt Schmidt-Matt aus, »ist Stein etwas, womit wir Ewigkeit verbinden. In Stein gemeißelt sind Worte, die ewig währen sollen.«
Grabsteine erinnern über den Tod hinaus. Stein wird mit Macht, Reichtum, Verlässlichkeit und Solidität assoziiert. »Dabei«, legt Schmidt-Matt seine Gedanken dar, »ist Stein etwas Empfindliches, Zerbrechliches, er verwittert und zerfällt. Und so zieht sich die Spanne der Sinnbildlichkeit von Ewigwährendem bis hin zur Katastrophe.« Seine Skulptur macht diese Spannung spürbar, denn indem sie bewegt wird, schwindet der Eindruck der zeitlosen Massivität. Aus der Stabilität heraus wird sie instabil, tritt ihre Fragilität zu Tage. Dieser Moment hat auch etwas Überraschendes, denn das kompakte Volumen öffnet sich, die Elemente treten in ihrer weit raumgreifenderen Form hervor und bleiben doch als Eines verbunden. Entsprechend ist die Vorgehensweise von Schmidt- Matt bei der Erstellung seiner Skulptur. Mit Hammer, Meißel und Bohrer gräbt er die Kanäle, die die zwei Elemente des Hauses trennen werden. Der rohe Stein bleibt so weit wie möglich so
erhalten, wie er ihn bekommen hat. So werden Rückschlüsse auf die Ausgangsform möglich. Nur das Nötigste wird entfernt.
Spannend findet Schmidt- Matt die Spuren, die bereits am Stein hinterlassen wurden: Von den Werkzeugen, mit denen der Stein aus dem Felsen gebrochen wurde, oder wenn er mit Steinen arbeitet, die zuvor bereits behauen wurden. Schmidt-Matt freut sich über den Standort in Otterbach für sein Haus vom Nikolaus, »denn dort«, weiß er, »geht der Jakobsweg vorbei. Und dieser Weg soll zur inneren Einkehr einladen. Vielleicht kann ja die Skulptur, deren Inneres geöffnet wurde, die Pilger in ihrem Inneren bewegen, wenn sie ihr begegnen?«
Text von Sabine Michels